Mit dem Charme der goldenen Zwanziger

Text und Fotos: Stephan Käufer
tiefes Blau und das Weiß des grandiosen Himmels

tiefes Blau und das Weiß des grandiosen Himmels

Das Aluminium des Fensterrahmens ist angelaufen. Taub und matt wirkt das einstmals bronzefarbene Metall. Die würzige, salzige Seeluft und der vom Westwind dahergetriebene Regen haben mit der Patina auf dem Rahmen ihre Visitenkarte hinterlassen. Oft sind sie hier zu Gast, meist nur kurz. Dann heulen sie um die Mauern, werfen Terrassenstühle um, zerren an Fensterläden. Doch selbst im Hochsommer sind sie der Garant für ein angenehm frisches Klima, mit entspannend warmen Sonnentagen. Unterdessen spiegelt sich im „schwarz“ der Doppelverglasung zwischen den matten Aluminiumrahmen das tiefe Blau und das Weiß eines grandios endlos weiten Himmels. Lang laufen die Wellen unter beruhigendem Rauschen auf dem flach abfallenden, feinsandigen Sandstrand aus. Möwen tanzen knapp über den Wogen. Vollführen, begleitet von ihrem klagend fordernden Geschrei, oft atemberaubende

Strandwächter

Strandwächter

Flugmanöver. An die vierhundert Meter wird der Strand, hier von der Strandpromenade, bis zum Wellensaum messen. Eine Gruppe junger Frauen und Männer –Strandwächter in Badebekleidung und mit roten T-Shirts bekleidet- müht sich, ihr Schlauchboot einsatzbereit zu machen. Noch früh am Morgen beginnt der Strand zu erwachen.

Schade, daß es fantasielosen Baumeistern an dieser belgischen Nordseeküste, zwischen wunderschön mit verspielten Bögen, Türmchen und Erkern geschmückten Backsteingebäuden erlaubt war, streng gegliederte, modern anmutende für „Massen“ errichtete, Betonarchitektur zurück zu lassen. Ist das Zeitgeist?

Zeitgeist?

Zeitgeist?

Ist es utopischer Anspruch eines „alles ist Machbar“ Denkens. Kälte und Verfall gehen von dem Einen aus. Charmante Wärme, Geborgenheit, Entspannung vom Anderen. Selbstredend, die „große Zeit“ dieser Küste, das waren die „Goldenen Zwanziger“; waren Bäderarchitektur, Casinoeleganz, Sommerfrische, ja vielleicht auch Spießertum und die klare Trennung von jenen „da Unten“ und den anderen „da Oben“. Wurde dieses Denken von Le Corbusier und seinen Schülern wirklich überwunden? Egal, die mehr als 60 Kilometer lange flandrische Küste zwischen dem mondänen Knogge Heist, dem gemütlich unverbauten de Haan und den Naturschutzgebieten bei De Panne an der Französischen Grenze besitzt, und nicht umsonst, ganzjährig eine große Anziehungskraft.

„Jede Jahrezeit hat ihre Schönheit“, erzählt Willy Cosijn. Cosijn lebt seit zwei Jahren in De Panne. Er stammt aus Brüssel und arbeitet für das Naturerlebniszentrum. „Über ein drittel aller Pflanzen Flanderns finden sich hier im Naturschutzgebiet“, berichtet er weiter.

Naturschutzgebiet bei De Panne

Naturschutzgebiet bei De Panne

Hinter ihm, im Sand der Dünen biegt sich unter einem Winstoß das Strandgras. Windet sich ein schmaler Trampelpfad -teilweise mit Bohlen ausgelegt- durch die oft mannshohe Vegetation. Ihn zu verlassen ist untersagt. Hin und wieder an markanten Punkten erreicht er Aussichtsstellen, die erhöht, den Blick über das Sandmeer ermöglichen. Am Himmel ziehen dunkle, monumental anmutende, dann und wann von Sonnenstrahlen durchbrochene, Wolkengebilde dahin. Die Dünenlandschaft, die sich etwa 340 Hektar groß von der französichen Grenze rund um die westlichste Küstenstadt Belgiens erstreckt, gilt als die schönste an der belgisch- , niederländischen Nordseeküste. Endlose Spaziergänge ermöglichen das Abschalten des ewigen Gedankenkarussels. Die salzige Luft, das Rauschen des Meeres, der herausfordernde Ruf der Möwe - Hektik und Lärm der fernen, großen, grauen Stadt sind hier unwirklich und diffus. Und das im frostigen Winter mit von eisigem Nordwest geröteter Nase ebenso wie im Hochsommer. Im Besucherzentrum de Nachtegaal, für welches Willy arbeitet, sowie im angeschlossenen Museum wird anschaulich der küstennahe Lebensraum Nordsee, das Zusammenspiel von Land und Wasser erläutert. Führungen spezielle für Kinder, oder für Familien und Gruppen werden ebenfalls angeboten.

getrockneter Fisch

getrockneter Fisch

An Fäden hängt der getrocknete Fisch von Gestellen herab. Meeresfrüchte aller Art, Muscheln, frischer Fisch, alles was das Herz begehrt. Üppig und „vom letzten Fang“ ist die Auslage in den Kühlvitrinen der Fischstände von Oostende. Buntes treiben. Hufgetrappel, eine Pferdekutsche mit Touristen auf Stadtrundfahrt lenkt die Blicke auf sich. Schräg gegenüber dem Jachthafen, Motoryachten zwischen eleganten Segelbooten. Hissleinen schlagen angefeuert vom Wind im Dauerstakkato gegen Jachtmasten. Tausendfach erklingende Melodie in den Marinas der Welt. Im Wind spielende Wimpel und Flaggen. Auf einer Reling trocknen ein paar Handtücher.

Hufgetrappel

Hufgetrappel

Städtisches Flanieren, Fußgängerzone, Betonschluchten, alle Art von Geschäften. Belgische Pralinen, Parfum, Pommes. Ein verträumter Jugendstilpavillon auf einem kleinen Platz, ein paar Kneipen. Drumherum Cafes, Bänke, spielende Kinder. Imposant schiebt sich die Hafenmole in die See. Leopold II. Laan, Albert I. Promenade, Koningstraat. Namen die an die Vergangenheit der Stadt erinnern. Oostende wird als die Königin der Belgischen Seebäder bezeichnet. Ist sie es? Einstmals hatte der König hier seine Sommerresidenz, fand sich die europäische Hautevollee hier ein. Ein wenig vom Glanz dieser Zeit lässt sich erahnen, aber „Königin der Seebäder“?

verträumter Jugendstilpavillon

verträumter Jugendstilpavillon

Brügge und Gent locken

Brügge und Gent locken

Sind Königinnen oder Könige überhaupt noch zeitgemäß? Oostende hat etwas für sich, ein eigenes Flair, und das ist das Entscheidende. Ebenso wie De Haan oder Knogge Heist. Jedes dieser Seebäder hat etwas Spezielles und alle zusammen bilden die Summe dieser Küste, sind ein spannendes Ganzes. Mit der Küstenbahn lassen sich die Bäder entspannt erreichen, erspüren und erobern, mit dem Fahrrad aktiv. Familien und Kinder erfreuen sich an dem wahrhaft endlosen Sandstrand. Ältere Semester vielleicht an den kulturellen Möglichkeiten, den Kunstmuseen oder den Restaurants und der Lebensart. Im Hinterland locken Brügge und Gent, wunderschön verspielt und verträumt. So relativieren sich Bausünden recht schnell und Le Corbusier bleibt ein französich schweizerischer Architekt und Stadtplaner.


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Ostende, Belgien

Kalender von Stephan Käufer
Reisekalender

Momentaufnahmen und Impressionen. Meine Lieblingsmotive aus den Themenbereichen Reise, Motorrad und Oldtimer. Zusammengefasst und präsentiert als hochwertiger Wandkalender.

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