Mit den Falken fliegen

Text und Fotos: Stephan Käufer
Ein kurzes Konzentrieren

Ein kurzes Konzentrieren

Ein kurzes Rauschen erfüllt die Luft. Dem Segel einer Galeere gleich, nur waagerecht und gepolstert ähnlich einem Federbett, steht ein bunter Gleitschirm am Himmel. Über unzählige nach einem System geordnete dünne Leinen ist der Schirm mit seinem Piloten verbunden. Der Mann lacht, schaut nach oben in den Himmel dann zum Schirm und grinst eine junge Frau freudig erregt an.
Ein Kopfnicken, ein kurzes Innehalten, ein letztes Konzentrieren. Dann macht der Mann zwei, drei, vier Schritte talwärts. Der fünfte Schritt geht schon ins Leere. Wie von einer unsichtbaren Hand emporgehoben entschwindet der Gleitschirmflieger, einem Adler gleich, in die Lüfte. So ähnlich muss Ikarus sich mit seinen Schwingen von der Erde erhoben haben, um der Gefangenschaft im Labyrinth des Minotaurus auf Kreta zu entfliehen.

Ikarus gleich

Ikarus gleich

„Du läufst irgendwo hoch, packst deine Tüte aus und hast das absolute lautlose Glück“, beschreibt Rainer Scheltdorf die Faszination, die das Gleitschirmfliegen auf ihn ausübt. Seit über zwanzig Jahren fliegt er schon, ist im Besitz einer Ausbilderlizenz, bildet heute aber keine Schüler mehr aus, sondern veranstaltet ausschließlich Tandemflüge. „Sonne und Wind sind die einzigen Motoren, die du hast. Es ist das freie Fliegen,“ ergänzt er schwärmend. Lautlos durch die Lüfte gleiten, der uralte Traum der Menschheit. Diesen Traum erfüllen sich die Frauen und Männer am Mittagberg. Etwa vierzig Quadratmeter groß ist ein Tandemschirm und geeignet, eine Last von etwa 225 kg zu tragen, also zwei Flieger inclusive der etwa 30 kg Ausrüstung. Etwa 40 Minuten dauert der Flug von der Bergstation des Mittagberges bis zum Landepunkt nahe der Iller. Das ist aber abhängig von der Wetterlage, von Windrichtung, Windstärke und Thermik. „Für Anfänger ist der Mittagberg geeignet, das Nebelhorn ist thermisch aktiver“ erklärt Scheltdorf weiter und meint, daß das Nebelhorn erfahrenen Piloten vorbehalten ist.

Vor den Grünten

Vor den Grünten

Unter dem Gleitschirmflieger breitet sich jetzt das Voralpenland mit dem Tal der Iller aus. Ihm gegenüber, vollkommen unberührt von all den bunten Stofftupfern am stahlblauen Himmel, der Grünten der „Wächter des Allgäu“. Die Thermik hier am Mittagberg lässt den Flieger schraubenförmig, in großen Kreisen, spielerisch immer weiter in den Himmel steigen. Mit ihm all die Anderen, die mit den Aufwinden und der Thermik spielen, um endlich, wie die Samen der Pusteblumen, der Erde entgegen zu gleiten. Am Ende landen sie in den saftigen grünen Allgäuwiesen, in denen der Löwenzahn gelb, in voller Blüte steht.

In Gore Tex, also winddichte Kleidung, sind die Piloten gehüllt. Helm und Sonnenbrille gehören ebenso zu Ihrer Ausstattung wie feste, die Knöchel umschließende Wanderschuhe. Der Wind um den Gipfel ist zwar warm, aber in den Bergen kann das Wetter schnell umschlagen also ist auch ein warmer Pullover immer mit von der Partie.
So etwa zehn bis fünfzehn Gleitschirmflieger stehen am Hang unterhalb der Bergstation und bereiten sich auf ihren Flug vor, schauen nach denen, die schon in der Luft sind, oder helfen sich gegenseitig bei ihren Vorbereitungen. Allesamt werden sie beobachtet und ob ihres Mutes bewundert von den zahlreichen Zuschauern. Den Wanderern oder Gipfelstürmern die mit dem zweier Sessellift von der Talstation in Immenstadt den Weg auf den Berg gefunden haben. Jetzt rauscht es wieder, nur kurz, und nach ein paar Schritten schwebt wieder ein Mensch zwischen Himmel und Erde.

Hoch über dem Tal der Iller

Hoch über dem Tal der Iller

„Ich würde nie einen Fallschirmsprung oder Bungee - Jumping machen“. Deutlich sind die Worte von Silke Heinzelmann. Die 45 jährige gebürtige Essenerin ist Fluglehrerin. Seit 1995 lebt sie im Allgäu, ursprünglich kam Silke wegen des Bergsports. Ihr Nachbar jedoch, hatte anderes mit ihr vor und brachte sie zum Gleitschirmfliegen. Die Garten- und Landschaftsbau- Ingenieurin ließ Ausbildung, Ausbildung sein, machte die erforderlichen Lizenzen und bildet nun selber aus, Gleitschirmflieger.
„Man fängt –klein- also am Übungshang an, Mut braucht man nicht“, meint Silke, „aber ein sehr starkes Interesse“. Auch wenn die Piloten den Schirm aufgestellt haben kann der Start noch abgebrochen werden. So fühlt sich der Gleitschirmflieger durch den Schirm immer „festgehalten“. Erst wenn der Pilot entscheidet starten zu wollen, erhebt sich der Gleitschirm in die Höhe. Der Wind trägt ihn. Das unterscheidet den Gleitschirmflug deutlich vom Fallschirmsprung, der mit dem „freien Fall“ aus dem Flugzeug oder Hubschrauber beginnt. So sprechen die Gleitschirmflieger auch vom „Starten“ und nicht vom „Springen“.
Wer Lust am Fliegen verspürt hat zwei Möglichkeiten: Entweder der Tandemflug oder der Schnupperkurs in der Schule. Da es strenge gesetzliche Auflagen zur Erlangung der Fluglizenzen gibt, kann das Gleitschirmfliegen nicht in einem 14- tägigen Urlaub „gelernt“ werden, die ersten Schritte dazu könnten aber schon gemacht werden.

Der Wind trägt Ihn

Der Wind trägt Ihn

„Mit einem Falken bin ich schon mal Auge in Auge geflogen“, schwärmt Silke weiter. „Wir sind in der gleichen Thermik geflogen, die Vögel zeigen uns, wo wir die Strömungen finden können. Manchmal kann es auch sein, dass ein Vogel zum Gleitschirmflieger geflogen kommt“, führt sie aus. Es ist die Verbindung, nein, es ist das Eins werden, das Verschmelzen mit der Natur in vollkommener Ruhe und das auf sich allein gestellt sein. Instrumente, Uhren, Technik, Funk, alles was dem Menschen scheinbare Sicherheit vermittelt, der Gleitschirmflieger benötigt es nicht. Nur das Spiel mit den Kräften der Natur, mit den Winden, der Thermik und ein buntes Stück Stoff, Vertrauen in sich selbst, das eigene Können – keinen Mut. Mehr braucht es nicht um selbst den Respekt des Kreise ziehenden Raubvogels zu erlangen. Es ist den Fliegern anzusehen, die oben am Mittagberg starten, wie faszinierend dieser Sport ist. Schon das bloße Beobachten lässt die Gedanken weit entschwinden und das Träumen beginnen.

Die hohen Wipfel der Bäume

Die hohen Wipfel der Bäume

Die hohen Wipfel der Bäume hier im Voralpenland biegen sich sacht im Wind, während in der Ferne ein Greifvogel majestätisch seine Kreise zieht. In den Ästen rauscht leise ein Lied, von Freiheit und Ursprünglichkeit singt es, oder stammt das Rauschen von dem Schirm, der sich ein paar Meter weiter farbenfroh und stolz in den stahlblauen Himmel erhebt?


47.542889,10.257399
87544 Blaichach, Deutschland

Naturwunder Bergwelt
Naturwunder Bergwelt Fellhorn und Hörnergruppe

Faszination der Berge gezeigt im Bild

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Faszination Fachwerk - wenn es dunkel wird
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