Drei Mal ist Ostfriesenrecht

Text und Fotos: Stephan Käufer
beeindruckende Ansicht

beeindruckende Ansicht

Der eisige Nordwestwind ist zwar nicht stark aber stetig. Über die Nordsee und den Dollart zieht er und verfängt sich in der Zierde der Turmspitze des Rathausturmes, einem Segelschiff aus Kupfer. Er zieht durch die Gassen der alten Kaufmanns- und Hafenstadt und verfängt sich in den schmiedeeisernen Rankhilfen an den Backsteinmauern, wo noch vor wenigen Wochen Rosen blühten. Auch zieht er die Leda hoch, lässt das Wasser des Flusses gefrieren und dringt den wenigen Menschen, die in der frostklaren Luft an ihren Ufern spazieren durch jedes nachlässig nicht verschlossene Knopfloch. Im historischen Hafen der Stadt Leer sind die Segelschiffe vom Eis der Leda eingeschlossen. Überragt werden sie vom Gebäude der Alten Waage. Hier an dieser Stelle löschten über die Jahrhunderte die Handelsschiffe ihre Waren aus aller Welt. Neben den kostbaren Gewürzen brachten die Schiffe vor allem Tee.

Alte Waage

Alte Waage

Ostfriesland liegt im Nordwesten Deutschlands und die Stadt Leer liegt im südlichen Ostfriesland am Zusammenfluss von Ems und Leda. Der Dollart, der Meerbusen, über den die Ems in die Nordsee mündet, liegt ein paar Kilometer westlich der Stadt. Groningen in den Niederlanden sowie Oldenburg östlich von Leer, sind über die Autobahn in einer knappen Stunde zu erreichen. Handel und Hafen begründeten den Reichtum von Leer. Mit dem Handel kam 1675 der Tee nach Leer. Daraus entwickelte sich, neben dem florierenden Handel mit dem „Chinesischen Drachengift“ als solches bezeichnete Friedrich der Große den Tee, die Ostfriesische Teekultur. Deren Krönung, die große Ostfriesische Teezeremonie ist noch heute Ausdruck von Wertschätzung und Gastlichkeit.

große Ostfriesische Teezeremonie

große Ostfriesische Teezeremonie

„Ich glaub, das hängt mit der Sparsamkeit der Ostfriesen zusammen, denn für Tee benötigt man deutlich weniger Grundstoff als für Kaffee.“ Mit einem verschmitzten Lächeln beantwortet Celia Hübl, die Leiterin des Teemuseums Leer die Frage, warum denn die Ostfriesen so große Teetrinker sind. Statistiken gemäß trinkt nämlich jeder Ostfriese pro Jahr etwa 3000 Tassen Tee. Früher könnte ein weiterer Grund auch das schlechte Wasser in der Region bedingt durch die vielen Moore gewesen sein. Aus hygienischen Gründen musste damals das Wasser vor dem Genuss abgekocht werden. Daher wurde sehr viel Bier gebraut, welches sogar Kinder tranken. Mit dem starken Alkoholkonsum kamen auch dessen Probleme. Um diesen entgegenzuwirken, predigten die Calvinisten, Anhänger einer christlichen Glaubensrichtung, die sich seinerzeit von Holland kommend ausbreiteten: „Anstatt Bier zu trinken, solle man das Kraut aus dem Osten nehmen“.

heimelige Atmosphäre

heimelige Atmosphäre

Warm ist es im Teemuseum. Während draußen der Wind ungemütlich pfeift, treffen sich in der Stube des Museums ein paar Gäste, um an der großen Teezeremonie teilzunehmen. Heiß dampft das Wasser im Kessel. Ein angenehmer Geruch durchströmt das Gebäude und eine heimelige Atmosphäre breitet sich aus, die Zeremonie kann beginnen.

„Grundsätzlich ist das Einschenken des Tees die Aufgabe der Hausherrin. Zuerst muss der Deckel der Teekanne gelüftet werden, damit das Vakuum entweichen kann“, erklärt Therese van Düllen. Die gebürtige Leeranerin zelebriert uraltes Kulturgut. Danach kommt ein Kluntje, ein Stück weißer Kandiszucker, in die Teetasse. „Das Kluntje muss für drei Tassen reichen, Zucker ist teuer!“, erklärt sie mit ernster Miene. „Und auf gar keinen Fall darf der Tee über das Kluntje in die Tasse eingegossen werden, immer daneben zielen, sonst löst sich der Zucker zu schnell auf!“ Mit einem Augenzwinkern entspannt sich die ernste Miene der Ostfriesin. Ein Lächeln huscht über ihr Gesicht. Nun wird mit dem Rahmlöffel Sahne zugegeben. Aber gegen den Uhrzeigersinn: „Weil wir so die Zeit anhalten wollen“, erklärt Therese weiter. Hierbei muss die Tasse ruhig auf dem Tisch stehen: „Sonst wird das mit dem Wölkchen, dem „Wulkje“ nichts“. Deshalb darf der Tee auch auf gar keinen Fall mit dem Löffel umgerührt werden. Denn jetzt folgt das Wichtigste an der ganzen Zeremonie, das Trinken.

am Hafen

am Hafen

Hierzu wird die Teetasse mit der Untertasse aufgenommen und an dieser ausbalanciert. „Dreistöckig wird der Tee getrunken“, erklärt Frau van Düllen weiter. Als Erstes darf die Sahne die sich fantasieanregend in Wolkenform fein ziseliert und geädert auf dem Tee ausgebreitet hat abgeschlürft werden. Dann, im zweiten Stock, wird der Tee in seinem herben Geschmack getrunken. Zum Schluss kommt dann der süße, um das Kluntje herum schwimmende Tee. Wenn die Tasse leer getrunken ist, und auf gar keinen Fall vorher, darf sie abgesetzt werden. Jetzt darf auch das gereichte Gebäck gegessen werden. Es käme dem Sündenfall gleich, würde dieses in den Tee getunkt werden, eine barbarische Handlung die möglicherweise dazu führt, dass sich sämtliche ostfriesischen Häuptlinge gleichzeitig in ihrem Grabe umdrehen. Nicht auszudenken. Aber das mit den Häuptlingen ist eine andere Geschichte.
Noch zweimal wiederholt sich nun das Tee eingießen und anschließende genießen. Der angenehme Duft, wohlig breitet sich die Wärme im Körper aus, und wirklich scheint die Zeit stehen geblieben zu sein. „Nach der dritten Tasse darf mit dem gereichten Löffel der Rest des „Kluntje“ aus der Tasse genommen und im Mund gelutscht werden“, erzählt Therese weiter. Danach legt man den Löffel in die Tasse um damit zu bekunden, dass man genug Tee getrunken hat. Nach dem zweiten Mal wäre es unhöflich seinem Gastgeber gegenüber. Damit würde man andeuten, dass der Tee nicht geschmeckt hat. Und nach dem vierten Mal? Gott bewahre, Tee ist teuer – wollen sie ihren Gastgeber ruinieren? Und schließlich ist ja auch die Zahl „drei“ in Ostfriesland heilig.

über die gefrorene Leda zieht der Wind

über die gefrorene Leda zieht der Wind

Über die gefrorene Leda zieht der Wind weiter. Die Spaziergänger haben die Klappbrücke bei der Alten Waage überquert. Auch sie streben jetzt mit roten Ohren Richtung Stadt. Vielleicht wollen sie ja nach dem strammen Marsch durch den kalten Wind in einem der Teehäuser spüren, wie das heiße Getränk wohlige Wärme in ihrem Körper verbreitet.


53.227156,7.450980
Leer in Ostfriesland, Deutschland

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