Okzitanien, uraltes Land im Süden

Text und Fotos: Stephan Käufer
Im Nebel verborgen

Im Nebel verborgen

Nebel verhüllt die Spitzen der Berge. Die Gruppe folgt einem schmalen aufwärts führenden Pfad. Immer nur Einer hinter dem Anderen, natürliche, ausgetretene und ausgewaschene Felsstufen. Sind ein paar Höhenmeter gewonnen, geht es gleich drauf abwärts, um direkt hinter der nächsten Windung über weitere Felsen erneut anzusteigen. Eine kurze Strecke führt der Pfad, wie ein Hohlweg, durch höher gewachsenes Strauchwerk. Blankpoliertes Gestein, wie Griffmulden, links und rechts an anspruchsvollen Wegstellen, zeugt von den vielen Tausend die sich Jahr für Jahr genau an jenem Punkt haltsuchend emporgezogen haben. Der Fels unter den Schuhen ist nass, schlüpfrig vom herabfallenden Nebel, vorsichtiges Gehen, Windstille. Schließlich ragen, ähnlich einem Schiffsbug, die Mauern der Festung aus dem Nebel heraus, drohend, beschützend, uneinnehmbar.

Peyrepertuse - Katharerburg

Peyrepertuse - Katharerburg

Peyrepertuse – Katharerburg. Versucht sie ihr Geheimnis im Nebel zu bewahren? Versteckt sie sich? Nein, bestimmt nicht. Oft genug sonnt sie sich, auch im Glanz ihrer Geschichte, und beschert dem Bezwinger unter einem strahlend blauen Himmel eine fantastische Fernsicht.

Die Wälle von Carcassonne

Die Wälle von Carcassonne

Im Languedoc, etwa 90 Kilometer südöstlich von Carcassonne und etwa eine Autostunde von den Stränden des Mittelmeeres entfernt in den Bergen des Corbiéres, liegt die Festung Peyrepertuse. Hier, mitten im alten Land „Okzitanien“ lebten im Hochmittelalter die Katharer, auch als Albigenser bezeichnet. Die christliche Religionsgemeinschaft lehnte neben dem katholischen Ritus sowie zentralen Lehren Roms vor allem die ausschweifende Lebensweise des katholischen Klerus und die Zahlung des „Zehnten“, dem der Kirche zustehenden Zins ab. Dem Papst reicht es, 1209 ruft er zum Kreuzzug gegen die Katharer, die „Ketzer“ auf. Der okzitanische Landadel stellt sich hinter die Katharer – die „Vollkommenen“. Er gewährt verfolgten Schutz, versteckt sie und tritt den Kreuzrittern mit dem Schwert in der Hand auf dem Schlachtfeld entgegen.

„Nur mit Maultieren konnte die Festung versorgt werden, für Pferde ist der Weg hinauf zu steil“, erklärt Sébastien Pla der Bürgermeister von Duilhac. Pla hat heute zusammen mit der Gruppe den Weg in die Festung gefunden. „Peyrepertuse ist die größte zusammenhängende Burganlage Südeuropas“,

Größte Zusammenhängende Burganlage Europas

Größte Zusammenhängende Burganlage Europas

berichtet der 38- jährige. Er erklärt weiter: „Wir wissen über den Bau der Burg sehr genau Bescheid, in Nimes im Archiv werden alte Abrechnungen aufbewahrt, die akribisch auflisten wieviel Steine, Mörtel und Lohn zur Errichtung der Anlage verwendet wurden.“ Das ist eine Besonderheit. Über wenige Festungsbauten existieren solche Aufzeichnungen. Bereits zur Römerzeit war der Felsen besiedelt. In der zweiten Hälfte des neunten Jahrhunderts gehört die Burg den Grafen von Besalù. Zu Beginn der Albigenserkreuzzüge gehört sie der Familie von Peyrepertuse. Nationalstaaten heutiger Prägung existieren im Mittelalter nicht. Regionalfürsten und einflussreiche Familien sind lehnspflichtig gegenüber höher gestellten Adligen. Diese wiederum gegen einen König oder dem Kaiser. Die Familie von Peyrepertuse ist verbandelt mit den Häusern Aragon, Barcelona und Besalù. So genießt die Burg eine Art Immunität. Unter Guillaume von Peyrepertuse bietet sie vielen Katharern und enteigneten Lehnsherren Zuflucht. Schließlich wird 1224 über Guillaume der Kirchenbann verhängt. Bis 1240 hält sich die Festung, am 16. November des Jahres ergibt sie sich den Truppen des Königs von Frankreich. Bis zum Pyrenäenfrieden 1659, der den Grenzverlauf zwischen Spanien und Frankreich vereinbart und bis zum heutigen Tag regelt, dient sie der Grenzsicherung. Schließlich beherbergt der Fels bis zur Französichen Revolution eine kleine Garnison. Mitte des letzten Jahrhunderts beginnen die Arbeiten zum Erhalt der Festung. Derzeit läuft ein Verfahren sie unter „Unesco Welterbestatus“ zu stellen. „Über 100.000 Besucher zählen wir im Jahr“, berichtet Sébastien Pla und verbindet auch damit die Hoffnung auf Erteilung der Auszeichnung.

Festung Quéribus

Festung Quéribus

Dieser Weg führt bequem in die Höhe. Vielleicht ist er etwas steil, mancher wird wohl etwas langsamer gehen müssen. Aufwärts führt er, hinauf auf die Festung Quéribus. Der erste Torbogen ist eng, Reiter müssen absteigen, die Tiere führen. Schnell geht hier gar nichts. Auf den Angreifer würden nun von oben Pfeile, Speere, Steine und heißes Pech herunterregnen. Ob hier zwei Männer nebeneinander stehen könnten? Den Schild heben, den eigenen Körper schützen, ein Schwert schwingen, kämpfen? Unwahrscheinlich. Hier würde der Tod warten. Auf jeden Agressor. Leichte Beute für den Sensemann. Sollte der Torbogen, das Festungswerk trotzdem genommen werden wartet der nächste Wall, die nächste Treppe, der nächste Pfeilhagel. Wer will diese Hölle, in eiserner Rüstung über die Toten kletternd, überwinden? Dem Herrn sei Dank! Heute ist hier tiefer Frieden Niemand der Besucher der Ruine hat kriegerische Absichten. Doch Geschichte ist spannend und fantasieanregend. Während die eine, die Peyrepertuse, sich über einen Bergkamm erstreckt und genau genommen aus zwei Burgen besteht, thront die Quéribus wie ein Adlerhorst hoch oben auf dem Berggipfel. Ihr eindrucksvoller Donjon, der Wohnturm, ragt als höchster Punkt mächtig aus dem massiven Mauerwerk, den Treppen Wällen, Zinnen und Torbögen in den Himmel. Die Fernsicht über die Berge der Corbière, bis weit ins Languedoc, und sogar an günstigen Tagen bis zum Mittelmeer, ist den Festungen gemein. Beide werden zusammen mit jenen von Aguilar, Puilaurens und Termes auch als: „Die fünf Söhne von Carcassonne“, bezeichnet.

Fernsicht über die Berge der Corbière

Fernsicht über die Berge der Corbière

Die Greuel der Kreuzzüge führten nicht zum Ziel. Zwar ergibt sich 1255 Queribus als letzte Katharerfestung. Der Glaube der „Vollkommenen“ in Okzitanien, dem südlichen schon von den Römern besiedelten Teil Frankreichs überlebt. Die Antwort der Kirche lautet Inquisition. Zum ersten Mal in Europa wird sie flächendeckend eingesetzt. Scheiterhaufen brennen - Vielfach lodern Aufstände auf, werden Inquisitoren erschlagen -vom Leben zum Tode befördert-. Regionalfürsten werden unter Druck gesetzt – mit dem „Bann“ belegt, Exkomuniziert. Unter dem Schutz des Königs von Frankreich arbeitet die Inquisition schließlich äußerst effektiv. Der letzte bekannte „Vollkommene“ wird 1321 auf dem Scheiterhaufen verbrannt.


42.870711,2.555339
Château de Peyrepertuse, Frankreich

Okzitanien - Katharerland
Okzitanien - Katharerland

Reise in den Südwesten Frankreichs

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