C'est la vie – Leben wie Gott im Elsass

Text und Fotos: Stephan Käufer
Kurvenräubern in den Vogesen

Kurvenräubern in den Vogesen

Wäre der liebe Gott Motorradfahrer, er würde im Elsass leben. Schnelle Kurven, hochwertige Weine, Dörfer wie Puppenstuben. Gründe genug einmal genauer Hinzusehen.

Dunkelblauer See weite Täler

Dunkelblauer See weite Täler

Halb im Schatten liegend durchschneidet die Straße den Wald. Tannenduft. Flickstellen in der Teerdecke. Der Gang rastet ein. Die Kupplungshand entspannt sich, Gasschieber öffnen sich. Während der Fahrer das Motorrad beschleunigt, kommt es wie am Zirkel gezogen aus der Kehre heraus. Keine hundert Meter später dasselbe Prozedere, runter Schalten, in die Kurve kippen, am Scheitelpunkt beschleunigen, aufrichten, wow, vorwärts. Ein paar Gewichtsverlagerungen, ein paar Adrenalinschübe später sind Fahrer und Maschine aus dem Wald. Der Blick wandert über die Landschaft, sieht den dunkelblauen See, die weiten Täler der Vogesen, Bergkuppen, saftige Wiesen, dunkelgrüne Wälder. Am Horizont das Zackenmuster der Schweizer Alpen im Mittagsdunst. Hangaufwärts ein Skilift. Die Serpentinen nehmen kein Ende, auch ohne den Wald. Motorradfahrerglück auf der Route de Crète.

Auf der Vogesenkammstraße

Auf der Vogesenkammstraße

Die Route de Créte, die Vogesenkammstraße, erstreckt sich über knapp achtzig Kilometer in Nord – Südrichtung, vorzugsweise am Westhang der Vogesen. Gebaut aus militärischen Gründen, zu einer Zeit als ein vereintes Europa undenkbar war. Heute vorrangig touristisch genutzt, windet sie sich überwiegend zwischen 900 und 1200 Höhenmeter durch die Berge. Offiziell beginnt sie im Norden in den dunklen Wäldern rund um den Col du Bonhomme. In vielen Kehren, Serpentinen, Kurven und schnellen Passagen, schlängelt sie sich hoch auf den Grand Ballon. Bietet hier eine fantastische Fernsicht bis hin zu den Schweizer Alpen. Vom Grand Ballon aus, klettert sie in nicht minder atemberaubenden Schwüngen abwärts ins Elsass bis Cernay und in die welligen rebenbestandenen Hänge bei Rouffach und Guebwiller.

Der Grand Ballon

Der Grand Ballon

„Je älter die Reben, desto geringer die Ausbeute, aber die Qualität wird besser, weil die Wurzeln tiefer in die Erde eindringen“, erklärt Apollina Meyer während der obligatorischen Weinprobe. Der Familie Meyer gehört das Weingut Domaine du Bollenberg, einsam gelegen inmitten der sanften Hügel bei Rouffach. „Unsere ältesten Weinstöcke stammen aus dem Jahr 1945“, berichtet sie weiter. „Wir produzieren ausschließlich biologisch“. Hier kennt die sympathische Elsässerin keinen Kompromiss. Qualität ist auf der Domaine oberstes Gebot. Die Weinstöcke werden nicht „gespritzt“ – also nicht mit chemischen Mitteln behandelt. Neben dem Weinanbau ist der Obstanbau wichtige Erwerbsquelle. Eigene Kirschen, Birnen, Mirabellen und Zwetschgen werden zu leckeren Marmeladen und edlen Obstbränden verarbeitet. Nicht nötig zu erwähnen, dass auf dem Weingut aus den Resten der Trauben auch „Marc“, Anderswo in Europa auch als Trester oder Grappa bezeichnet, gebrannt wird.

Betörend der Duft

Betörend der Duft

Vor allem Weißwein - Gewürztraminer, Riesling, Grauburgunder, Muscat – werden in den nach Osten zur Rheinebene abfallenden Hängen der Vogesen angebaut. Geschützt durch das Gütesiegel AOC (Appellation d'Origine Contrôlée) ist garantiert, dass der Wein auf traditionelle Weise hergestellt wird, aus der Region stammt und auch hier verarbeitet wird. Ferner, dass seine Eigenschaften einen gleichbleibenden Standard bezüglich Qualität und Güte besitzen und dass diese Standards überwacht werden. Kenner lieben die fruchtigen, frischen Aromen des Elsässer Weines.

Weinfelder in der Rheinebene

Weinfelder in der Rheinebene

Erste Spitzen der Weinblätter beginnen sich gelblichbraun zu färben. Noch stehen die Weinstöcke in sattem, saftigem Grün, prahlen beinahe um die Wette mit Ihren fetten, dunkelblauen Reben. Betörend der Duft, der von den reifen Früchten ausgeht. Bienen summen, wann fährt die pflückende Hand des Winzers die reiche Ernte ein? Entspannt gleiten die Motorräder durch die welligen, weiten Weinfelder der Rheinebene entlang der Route des Vins d`Alsace. Genießen spielerisch die leichten Schwünge der sanften Kurven. Ribeauville, Riquewihr, Colmar bleiben längs der Straße liegen. Westlich von Colmar führt die D 417 hoch in die Berge. Aus der entspannten Gangart wird ein gezügelter Galopp. Erste schnellere Kurven. Bald ist Munster erreicht.

Hotel la Cigogne

Hotel la Cigogne

Reich mit Blumen ausstaffierte Kübel schmücken die Straßen, Blumenkästen, Blumenschmuck an Fenstern und Gesimsen. Alles atmet Üppigkeit, Überfluss. Eine Gruppe Motorradfahrer entspannt bei einem Kaffee, einer Cola, unter den Sonnenschirmen des Hotels la Cigogne. La Cigogne - der Storch steht für die Identität des Elsasses wie das Fachwerk, das Sauerkraut und der Wein. Mehr als 60 dieser anmutigen Tiere können im Sommer in Munster gezählt werden. Doch mehr noch als für Störche, steht die Stadt für den berühmten Käse, dem sie ihren Namen leiht. Traditionell aus Rohmilch, oft noch in Kleinkäsereien oder Sennereien hergestellt, ist er der bekannteste Käse der Vogesen. Ebenso wie der Wein, ist der Munsterkäse durch Gütesiegel geschützt, seine Herstellung auf bestimmte Departements beschränkt.

Flanieren in Munster

Flanieren in Munster

Westlich von Munster, wieder zurück auf der 417, steigt der Adrenalinspiegel quadratisch zur Anzahl der Höhenmeter. Kurvenspaß pur. Auf einer Länge von etwa 18 Kilometern, schlängelt sich die Straße in oft schnell fahrbaren Kurvenkombinationen und anspruchsvolleren Kehren dem „Col de La Schlucht“ entgegen. Mit 1139 Metern Passhöhe kreuzt sie hier die Route de Cretès. Jeweils um 20 Kilometer versetzt, beinahe parallel zur 417, jedoch nördlich von ihr, führen zwei weitere Straßen -in Ost- Westrichtung- hoch in die Vogesen. Die N 415 beginnt in Breisach an der deutsch-französischen Grenze, berührt Colmar und Kaysersberg und führt zum Col du Bonhomme. Die N 59 beginnt bei Sélestat. Über sie lässt sich die Haut Koenigsburg erreichen. So bietet sich ein Basislager in den oft verspielt herausgeputzten, gemütlichen Städtchen und Dörfern in der Rheinebene an. Spannend sind auch all die kleinen, oft durch dunkle Wälder führenden Straßen zweiter und dritter Ordnung, die die drei Hauptstraßen immer wieder miteinander verbinden und so zu immer neuen Kurvenkombinationen einladen. Etwa dreißig Kilometer südwestlich vom Grand Ballon, an der D 465, befindet sich mit dem Ballon d'Alsace eine weitere adrenalinproduzierende Herausforderung.

Verspielt, herausgeputzt, gemütlich

Verspielt, herausgeputzt, gemütlich

Gewaltig eindrucksvoll ragt das rotbraune Bossenmauerwerk aus den Wäldern empor in den Himmel. Bastionen und steinerne Wehrgänge sichern und krönen die Wälle, decken die mächtigen Tore. Schützen so den alles überragenden quadratischen Donjon. Die Burg steht in exponierter Lage, hoch auf einem Bergrücken, beherrscht durch die Fernsicht, wie ein Adlernest, die gesamte Rheinebene bis zum Schwarzwald. Das Chateau du Haut-Koenigsburg.

Gewaltig und eindrucksvoll Haut-Koenigsburg

Gewaltig und eindrucksvoll Haut-Koenigsburg

Im 12. Jahrhundert, als Mauern Schutz bedeuteten, wurde sie als Reichsburg vom Kaiser errichtet. Im Verlauf der Jahrhunderte erweitert, die Wälle und Bastionen verstärkt und -neuer Waffentechnik geschuldet- ständig modernisiert. Ein sicheres Bollwerk, römischer Kaiser Deutscher Nation gegen den König von Frankreich und dessen Bestrebungen. Dann, während jenem unseligen 30-jährigen Ringen von den Schweden belagert, erobert und in Brand gesetzt.

Wie ein Adlernest

Wie ein Adlernest

Mit der Eroberung des Elsass durch den Sonnenkönig -Ludwig den XIV- gehört die Festung nun ebenfalls zu Frankreich, um als Ruine mehr als 200 Jahre vor sich hin zu schlafen. In den Irrungen der wechselhaften Deutsch-Französischen Geschichte, fällt sie mit der Reichsgründung 1871 zurück an das Deutsche Reich. Wilhelm der II., letzter Deutsche Kaiser missbraucht sie vielleicht als Symbol, errichtet sie aber in alter Pracht neu.

Blühen und prosperieren

Blühen und prosperieren

Wenn Wein, Fachwerk, Storch und Sauerkraut identitätsstiftend für das Elsass sind, dann steht die Haut-Koenigsburg für seine wechselvolle Geschichte. Nicht nur der Isenheimer Altar im Musée d´Unterlinden in Colmar, auch die handwerklich und künstlerisch anspruchsvollen Fachwerkhäuser, oder die oft -wie Puppenstuben- herausgeputzten Altstädte, das Straßburger Münster, das Bugatti Museum in Mühlhausen, stehen ebenso wie die Haut-Koenigsburg für die großen kulturellen Leistungen und den intellektuellen

Kulturelle Leistungen

Kulturelle Leistungen

Austausch dieser Region. Einer europäischen Landschaft, die nicht wirklich französisch, nicht wirklich deutsch sein will, kann oder ist. Aber -egal welcher Gottheit dies zu danken ist- heute, in einem vereinten Europa, darf das Elsass blühen und prosperieren. Wie der Wein, der der wärmenden Strahlen der Sonne bedarf. Leben wie Gott in Frankreich. Wenn dieser geflügelte Satz auf eine Region in Europa zutrifft, dann auf das Elsass.


47.945214,7.256655
Domaine Du Bollenberg, Westhalten, Frankreich

Kalender von Stephan Käufer
Motorradkalender

Momentaufnahmen und Impressionen. Meine Lieblingsmotive aus den Themenbereichen Reise, Motorrad und Oldtimer. Zusammengefasst und präsentiert als hochwertiger Wandkalender.

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