Im Lande Sindbads

Text und Fotos: Stephan Käufer
traditionelle Dhau

traditionelle Dhau

Mächtig reckt sich der hoch aufragende Vordersteven ins Blau des Himmels. Die Männer, die am Rumpf des Schiffes arbeiten, kratzen und schaben mit den messerscharfen Werkzeugen an den Holzplanken. Entfernen Seepocken, Algen und all den anderen Bewuchs, den das Meer, auf seinen Reisen an ihm zurücklässt. Bis zur Hüfte stehen sie im warmen Wasser des Golfes. Nur die über den Männern emporragende Bordwand der Dhau, spendet ein wenig Schatten, bietet Schutz vor der sengenden Mittagssonne. Harziger Geruch frisch gesägten Holzes vermischt sich mit der salzigen Seeluft.

Seepocken, Algen und anderer Bewuchs

Seepocken, Algen und anderer Bewuchs

Etwas weiter oben, auf dem Strand, liegen weitere, teilweise mehr, teilweise weniger beplankte Holzgerippe. Schwankende Holzgerüste, wenig vertrauenerweckend, hüllen die Rümpfe ein. Auch auf ihnen arbeiten Männer. Zwischen den halbfertigen Schiffsrümpfen liegen haufenweise, ungeordnet Holzstämme, Äste, Bretter, in allen Dimensionen. Ein schier unendliches Tohuwabohu. Ist das die Werft, auf der Sindbad der Seefahrer seine Schiffe bauen lässt? Wo sie nach den überstandenen Gefahren seiner abenteuerlichen Reisen überholt werden?

Halbfertige Schiffsrümpfe und ungeordnete Holzstämme

Halbfertige Schiffsrümpfe und ungeordnete Holzstämme

Irgendwo im Hintergrund beginnt eine Trennscheibe oder eine Bandsäge in durchdringendem Schrillton ihre kreischende Stimme zu erheben. Unsentimental weckt sie aus den Tagträumen. Brutal ordnet sie die Szene ein, in das heute, in das jetzt des existierenden Elektrozeitalters. Schade, wir befinden uns also doch nicht auf der Werft Sindbads des Seefahrers.

Hier in Sur, der uralten Handels- und Seefahrerstadt am Golf von Oman, etwa 200 Kilometer südöstlich von Muscat der Hauptstadt des Sultanats Oman, befindet sich eine der letzten Dhau-Werften der arabischen Halbinsel. Mohammed Abdullah Zubair Al Zagjali lächelt. Dann erklärt er: „Sindbad ist eine fiktive Person.“ Die Figur Sindbads des Seefahrers geht zurück auf die Geschichten aus 1000 und einer Nacht. Er erlebt seine Abenteuer im 8. oder 9.Jahrhundert. Dass er ein Angehöriger des indisch- arabischen Kulturraumes ist, ist unstrittig. Ist er real oder fiktiv? Wie in so vielen Sagen üblich, wird die Gestalt des Sindbad wohl auf mehrere, durchaus real existierende Personen und überlieferten Erzählungen dieses Kulturkreises zurück zu führen sein.

Sur - uralte Handels- und Seefahrerstadt am Golf von Oman

Sur - uralte Handels- und Seefahrerstadt am Golf von Oman

Im Oman wird die Stadt Sohar, etwa 200 Kilometer nordwestlich von Muscat, als Geburtsort Sindbads reklamiert. Die Dhau ist der traditionelle Segelschiffstyp aller Anrainerstaaten des Indischen Ozeans. Die hölzernen Planken der Dhau durchpflügen seit dem Ende der Antike die Wellen der Meere zwischen Ägypten und dem Chinesischen Meer. Transportierten Menschen und Waren zwischen Ostafrika, der arabischen Halbinsel sowie dem Indisch- Chinesischen Kulturraum. So dürften sie auch entscheidend zur Blüte der Seehafen und Handelsstädte Muscat, Sur und Sohar beigetragen haben. Sultan Quaboos der absolutistische Herrscher des Omans, ließ in den 1990 er Jahren die „Fatah al Khair“ eine große, aus den 1920-er Jahren stammende Dhau restaurieren. Als Symbol für die historische Bedeutung des Seehandels und den traditionellen Schiffsbau für die Stadt, aber insbesondere auch für den Oman ließ er sie in Sur vor dem Dhau Museum aufstellen.

Baupläne existieren keine

Baupläne existieren keine

„Kein Omani arbeitet mit der Hand, es gilt als Schande mit der Hand zu arbeiten“, berichtet Al Zagjali weiter. Der 36-jährige lebt in Muscat, stolz ist er auf das, von Ihm als europäisch beschriebene Bildungssystem. „Die Omani arbeiten überwiegend in der Verwaltung, beim Militär oder der Polizei“ führt er weiter aus. So sind die Arbeiter auf der Dhau Werft in Sur in der Mehrheit Inder. Kunstfertig fügen sie in Handarbeit die Hölzer für die seegängigen Schiffe zusammen, so wie es die Schiffbauer seit Jahrhunderten praktizieren. Baupläne existieren keine, Wissen wird von Mann zu Mann weitergegeben. Typisches verwendetes Werkzeug sind der Stechbeitel, der Holzhammer oder der Fuchsschwanz. Elektrogeräte wie eine Bandsäge oder der Winkelschleifer kommen auch zum Einsatz. Deswegen von maschineller Produktion zu sprechen wäre falsch. Trotz der oft schweren Arbeit, scheinen die Arbeiter auf der Werft Freude an ihrem traditionellen Handwerk zu empfinden. Durch den, in der gesamten Golfzone des Omans, hohen Bildungsstand der einheimischen Bevölkerung, stirbt traditionelles, und auch handwerkliches Wissen. Etwa 45% der im Oman lebenden Menschen sind keine Omani. Arbeitskräfte müssen und werden importiert. Vergleiche zu europäischen Gesellschaften sind durchaus legitim.

Chinesische Unternehmen bauten 2007 die Autobahn von Muscat nach Sur. Komfortabel lässt sich die etwa 200 Kilometer lange Strecke, auch für Touristen, gefahrlos mit dem Leihwagen bewältigen.

Wadi Tiwi

Wadi Tiwi

Etwa auf halber Strecke liegen die Wadis Shab und Tiwi. Vor allem das Wadi Shab sollte „erwandert“ werden, vorzugsweise am frühen Morgen, und die Badesachen sollten zum Gepäck gehören. Für den Besuch der beiden Wadis sollte ein eigener Tag eingeplant werden. Spannend ist auch ein Besuch des 2012 eingeweihten Wadi-Dayqa- Damm. Der Staudamm, der der Wasserversorgung der Region Quriat, sowie des Großraumes Muscat dient, liegt imposant eingebettet in die Bergwelt des östlichen Hadjar Gebirges. Die Straße, die durch die Berge nahezu direkt zum Stausee führt, biegt bei Quriat von der Autobahn ab. Die Strecke ist ausgeschildert.

Wadi-Dayqa-Damm

Wadi-Dayqa-Damm

Ruhig schaukelt im Gleichtakt der Wellen, eine Dhau im Hafen von Mathrah bei Muscat. Die tiefstehende, untergehende Sonne holt die wunderschöne Holzarbeit hervor, modelliert, umschmeichelt sie. Sie vermittelt ein eindrückliches Bild von der Pracht dieser Schiffe, der Zeit in der sie die Häfen, die Menschen verbanden. Kuppel und Minarett der Moschee leuchten wunderschön blau-türkis in den wärmenden, barmherzigen Strahlen der gleichen Sonne.

Kuppel und Minarett sind von der Sonne umschmeichelt

Kuppel und Minarett sind von der Sonne umschmeichelt

Unweit des Liegeplatzes befindet sich der Souq von Matrah, einem der ältesten Handelsplätze der arabischen Welt. Ob Sindbad der Seefahrer sich genau jetzt an Bord dieses Schiffes befindet? Inshallah, möge jetzt bloß keine Kreissäge oder irgendein anderes elektrisches Gerät kreischend seine Stimme erheben.


22.561631,59.536680
Dhow Factory, Sur, Oman

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