Erschienen im Allgäuer Anzeigeblatt am 20.09.22
Neue Herausforderungen für die Bergrettung
Text und Fotos: Stephan KäuferEinsätze in Extremwetterlagen und -Die Best Ager im alpinen Umfeld- waren Schwerpunkte einer Fachtagung der Bergretter im Kurhaus von Bad Hindelang am vergangenen Samstag. Eingeladen hatte das Zentrum für Gebirgsmedizin der Klinik Immenstadt. Die Einladung richtete sich an medizinisches Personal, Rettungssanitäter, Hubschrauberbesatzungen und die Mitglieder der Bergwacht.
Zur Frage: „Klimawandel – müssen wir mit immer extremeren Wetterlagen rechnen?“ referierte Joachim Schug. Er beantwortete diese eindeutig mit einem „Ja“. Der Senior-Meteorologist bei der MeteoGroup in Appenzell, welche z. B. die Extremwetterlage in Westdeutschland im Sommer 2021 vorhersagte, warnte vor immer unberechenbareren Wetterlagen. Steinschlag, tauender Permafrost, und daraus resultierende Spaltenbildung würden zunehmend die Einsätze der Bergretter beeinflussen. Der Einsatz von Rettungshubschraubern wird durch Extremwetter Regen/Wind immer häufiger in Frage gestellt werden. Ein Rückgang der berechenbaren „Westwind-Lagen“ ist auch im Allgäu festgestellt worden. Durch sogenannte „Nord/Süd“ Windlagen, also einer vorherrschenden Windrichtung aus Nord oder Süd, wird das Wetter extremer. Wissenschaftler der MeteoGroup konnten sogar den Wechsel der konträren Windrichtungen innerhalb von 12-18 Stunden feststellen.
Weiterer Themenschwerpunkt waren die „Best Ager“ im alpinen Umfeld. Bedingt durch den Wandel in der Berufswelt und deutlich verbesserte Fitness wird in dieser Altersgruppe ein verändertes Freizeitverhalten festgestellt. Christian Schaller, Orthopäde und Unfallchirurg am Krankenhaus Brixen erklärt: „Früher war das Material schlecht, heute ist es zu gut“. Er meint damit geliehenes Sportgerät z.B. im Bereich des Skisports. Wenn die Kondition nicht mithält, ist bei deutlich schnelleren Kurvengeschwindigkeiten das Unfallgeschehen vorhersehbar. Frakturen im Bereich von, oder der Prothesen selbst, sind keine Seltenheit und verlangen oft eine besondere Bergung und spätere Behandlung der Unfallopfer. Eine Häufung der Unfallzahlen unter den Mountainbikern stellt er ebenfalls fest. Überwiegend bei der Talfahrt ereignen sich schwere Unfälle. „Man muss an die Vernunft einzelner appellieren“, zieht Schaller ein Fazit.
Martin Burger Landesleiter der Vorarlberger Bergrettung erkennt ein weiteres Problem. Im Sommer 2020 konnte ein vermisster, junger Mann, Typ „Abenteurer“ nach fünf Tagen Suche, nur noch Tod geborgen werden. Der professionelle Retter beschreibt das Gelände als sehr schwierig, und unzugänglich. Die Wetterlage (Hochwasser) als sehr schlecht. Aufgrund der Wettersituation, dem Eigenschutz sowie gewonnener Erkenntnisse war der Einsatzstab ständig gezwungen die Einsatzstrategie zu überdenken und anzupassen. Bereits am zweiten Tag der Suche wurde auf Einsatzleitung und Suchmannschaften durch privat Agierende und soziale Medien Druck aufgebaut. Das ausgesprochen hohe Medieninteresse und die massiv erhobenen Vorwürfe gegen die Bergrettung verschärften ab dem dritten Tag die Situation derart, dass eine eigene Öffentlichkeitsarbeit erfolgen musste. Schlechte Ausrüstung und Unerfahrenheit privat organisierter Suchtrupps band weiteres Personal. Burger würde sich trotz allem zukünftig nicht anders verhalten: „Wir haben uns durch die sozialen Medien nicht beeinflussen lassen“.
Da die Wetterereignisse zunehmen, wird die Begehbarkeit des alpinen Raumes sich zukünftig schwerer gestalten. Die Selbstüberschätzung Einzelner birgt oft, gerade für die Rettungsmannschaften ein enormes Gefahrenpotential. Medien ohne faktenbasierten Erkenntnisgewinn tun ein weiteres. Touristiker, Outdoorsportler und die PR-Abteilungen der Sport- und Outdoorindustrie sollten sich aufgerufen fühlen Ihre Konzepte gegebenenfalls zu überdenken. Die Herausforderungen werden nur gesamtgesellschaftlich zu lösen sein.
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