Der ewige Freund

Kontrastreiches Grün

Der Sturm hat sich gelegt, aber ein immer noch starker Westwind treibt das Meer lang auslaufend auf den Strand. Armdicke Äste biegen sich unter seinem Druck. Die Mauern des Schlosses müssen Schutz gegen die, gegen seine Wälle anrennenden Böen bieten. Unbedacht aufgesetzte Hüte werden seine leichte Beute. Ewig ist er, immerwährend, immer anwesend. Der Wind zwingt Bäumen seinen Willen auf und lässt ihren Wuchs die Richtung seines Odems annehmen. Ist er guter Laune, verführt er die Menschen, lässt sie entspannen unter seinem säuseln. Dann gewährt er der Sonne ihr Recht, durchzudringen auf die lebenspendenden Böden des Landes, gestattet ihr, das kontrasreiche Grün der Wiesen, die wogenden Getreidefelder und die schattenspendenden Wälder gedeihen und erblühen zu lassen. Heut früh, vom Schloss aus gut zu beobachten, ebenfalls geschuldet der guten Laune des Windes, tanzen die bunten Schirme der Kitesurfer über den Wellen der Bucht von Nekseloe.

Bucht von Nekseloe

Als Teil des Kattegat, das die Ostsee mit dem Skagerrak und der Nordsee verbindet, liegt die Bucht von Nekseloe im Nordwesten der dänischen Insel Seeland. Im Odsherred, der Region zwischen der Bucht, dem Isefjord und der offenen See lassen sich seit mehr als neuntausend Jahren Spuren menschlichen Lebens nachweisen. Seine nährstoffreichen Böden sind der Gemüsegarten Dänemarks. Die Gourmetköche des Landes, nicht zuletzt die, des mit zwei Michelinsternen ausgezeichneten und viermal als „bestes Restaurant der Welt“ ausgezeichnete Noma in Kopenhagen, beziehen ihr Gemüse aus der Region. Die Fahrt mit dem PKW in die dänische Hauptstadt von Schloss Dragsholm aus, das über der Bucht von Nekseloe thront, dauert nur wenig mehr als sechzig Minuten.

Schloss Dragsholm

„Dies hier ist die sonnigste Stelle Dänemarks“, Anders Oernberg muss es genau wissen. Sein Weingut im Norden des Odsherred auf der Sjaelands Odde, der wie ein Horn ins Kattegat ragenden Landzunge, profitiert von der sonnigen Lage und ist im vergangenen Jahr unter vierzig dänischen Weingütern zum besten Weingut Dänemarks gewählt worden. Etwa 12.000 Flaschen Wein füllt er pro Jahr ab. Gekeltert aus Trauben gereift in dem welligen Land über dem Meer und in Reichweite breiter nicht überlaufener feinsandiger Strände. Derzeit verfügt Oernberg über drei Hektar Anbaufläche. Diese soll noch erweitert werden. „Der leichte, lehmhaltige Boden lässt die Weinstöcke gut gedeihen und durch das Licht der „langen Tage“ im Sommer bildet sich sehr viel Zucker in den Trauben“, erklärt der Weinbauer der das Winzerhandwerk im Rheingau gelernt hat.

Weingut Oernberg

Durch die nördliche Lage des Weingutes und die damit veränderten Sonnenauf- und untergangszeiten sind im Monat Juni im vergleich zur Stadt Mainz die Tage um etwa 70 Minuten länger. Das wirkt sich merklich auf die Süße der Früchte aus. Der Siebenundvierzigjährige legt sehr großen Wert auf Qualität: „Bei der Abfüllmenge muss der Wein Persönlichkeit haben“, erklärt er. Etwa 20% verkauft er über seinen eigenen Hofladen, 30-40% nehmen ihm die Restaurants in der Region und in Kopenhagen ab, der Rest wird über externe Hofläden auf Seeland vertrieben.

Kunst Hot Spot Seeland

Vier Künstlerkolonien von Weltrang entstanden im ersten Drittel des vergangenen Jahrhunderts in Dänemark. Begünstigt wurden auch sie durch das viele und gute Licht, das vor allem im Sommer der ruhigen Landschaft seinen besonderen Zauber verleiht, Farben zum Leuchten bringt und sogar Schatten seinen Reiz verleiht. Aber auch begünstigt durch unseren Freund den Wind, der selten Dunst entstehen und dessen Wirken immer auch für Reinheit und Klarheit sorgt, entwickelte sich um die Ortschaft Asnaes herum eine Kolonie von Landschaftsmalern, die Odsherred-Maler. Karl Bovin, Kaj Ejstrup und Viggo Rorup sind nur einige, deren Werke heute im Odsherred Kunstmuseum im Hvide Hus in Asnaes der Öffentlichkeit zugänglich gemacht sind. Bei der Wanderung am Strand oder auf den vielen sehr gut markierten und ausgeschilderten Wanderwegen lässt sich manche Ansicht, mancher Standort der Staffelei und manche Perspektive der Künstler erahnen und aufspüren.

Dannebrog

Immer noch straff, senkrecht im Wind steht der Dannebrog, die dänische Nationalflagge, das weiße Kreuz im roten Feld weithin sichtbar präsentierend, hoch über dem Eingangstor zwischen den Zinnen von Schloss Dragsholm. Dragsholm Slot als Festung des Bischofs von Roskilde ab etwa 1200 n.Chr errichtet ist heute Hotel, Gourmetrestaurant, Hofladen und Spukschloss. Drei Gespenster treibt es den Erzählungen gemäß nächtens in den Mauern des Schlosses um. Die weiße und die graue Lady und den Geist des Earl of Bothwell. Von Liebe, von Krankheit, Gefangenschaft, nächtlichem Hufgeklapper, der Sorge um unverschlossene Türen und Fenster und von einem hartherzigen mordenden Vater erzählen die Geschichten. Sogar amerikanische Geisterjäger sollen die Geschichten bereits angelockt haben …

Hinter den Mauern des Schlosses

Aber vielleicht steckt ja hinter dem nächtlichen Hufgeklapper auf dem gepflasterten Hof auch wieder unser omnipräsenter Freund, der Hufgetrappel durch klappernde Dachziegel imitiert. Der die nächtens umherwandelnde Magd durch plötzlich aufwallende Wandbehänge zum leben erweckt und die am Abend aufstehend vergessene Tür oder das Fenster mit kräftigem Stoß zur Geisterstunde in das Schloss zwingt.