Insel im Wind

Text und Fotos: Stephan Käufer
Sherkin Island

Sherkin Island

Ein kurzes Rufen vom Boot her, während kräftige Arme ein paar Leinen bereithalten um sie den wartenden Helfern oben auf der Pier entgegen schleudern zu können. Unterdessen sonnt sich auf den Klippen, hoch über dem Atlantik, der Leuchtturm im warmen Licht der Morgensonne. Reisetaschen, achtlos durcheinander gestellt, stehen am Heck der kleinen Fähre, während das von der Schiffsschraube aufgewirbelte Wasser achteraus zieht. Auch eine Kiste mit Lebensmitteln und ein paar großformatige Mappen haben sich dazu gesellt. Etwas abseits, fast so als würde sie nicht dazugehören, steht eine Plastiktüte mit Farbtöpfen und Pinseln. Während die bunten, farbbekleckerten Töpfe ganz offensichtlich danach trachten, ebenso wie der Leuchtturm, ein paar Strahlen der Sonne zu erhaschen, lugen die Pinsel eher verstohlen aus ihrer Behausung. Eine Kameratasche und eine Werkzeugkiste stehen mittschiffs auf Holzbänken. Reisegepäck für den Einen, Lebensinhalt des Anderen. Scheinbar träumend sitzen die paar Passagiere an den Bordwänden in dem sanft im Takt der Wellen auf und nieder schaukelnden Boot. Zwei Frauen unterhalten sich leise miteinander, die eine lacht. Ein Mann schaut sehnsuchtsvoll der Heckwelle hinterher, wohin mögen die Gedanken fliehen? Einer der Fährmänner verteilt die letzten Tickets. Nur kurz ist die Überfahrt nach Sherkin Island.

Schmuggler, Piraten und Fischernest

Schmuggler, Piraten und Fischernest

Im Südwesten, der irischen Küste vorgelagert, liegt Sherkin Island im Atlantik. Von Baltimore, einem alten Schmuggler, Piraten und Fischernest etwa zwölf Kilometer westlich von Skibbereen und fünfundzwanzig Kilometer südlich von Bantry, verkehrt die „AN C`OILEANACH GLIC“ mehrmals täglich im Pendelverkehr mit der Insel. Auf dem etwa fünf Kilometer langen Eiland leben an die 100 Insulaner ganzjährig. Sechs Kinder besuchen die inseleigene Schule. Fünf Farmen, ein Fischer, eine Handvoll Autos und Traktoren, ein Leuchtturm, eine Klosterruine, die Ruine einer Normannenburg, zwei Pubs, ein Hotel und verschiedene Bed + Breakfast Häuser vervollständigen die Inselgemeinschaft.

Prächtiges Farbenspiel

Prächtiges Farbenspiel

Vom hellen Gelbgrün über Smaragdfarben bis in dunkles Oliv changieren die Farbtöne im Blätterdach, das die Hauptstraße ungefähr in der Mitte der Insel überspannt. Begrenzt von Moos und Efeu überrankten Steinwällen, Hecken und mörtellos aufgeschichteten Mauern windet sie sich über die Insel. Bis auf den Wind, der uralte Geschichten erzählend, raunend durch das Blätterdach streicht, ist es vollkommen still. Lichtreflexe spiegeln sich zwischen den sanft wiegenden Blättern. Eine Katze streicht an einem Stamm vorüber, nicht weit entfernt bellt ein Hund. Wo die Straße sich gabelt, um auch die Strände im Westen zu erreichen, verlässt sie ihr schützendes Dach um von einem beinahe ultramarinblauen Himmel überspannt zu werden. Das bald erreichte Meer präsentiert sich in tiefem Türkis. Gischtend, in allen Spektralfarben leuchtend, zerstieben die von weißem Schaum gekrönten Wellen an den schwarzbraunen Klippen, nur um sich darauf neu zu vereinen und in ruhigem Lauf, so als wollten sie sich ausruhen, auf den ockergelben, feinsandigen Strand in wohltuender Gelassenheit auszulaufen.

Mit wohltuender Gelassenheit

Mit wohltuender Gelassenheit

„Die Insel ist ein ganz spezieller Platz. Das Licht ist durch die Spiegelung des Wassers einmalig und die Luft durch den frischen Wind des Atlantiks sauber. Der Golfstrom, der die Insel umfließt, bringt die nötige Wärme so dass man im warmen Wasser schwimmen kann“, erzählt Bernadette Burns. Die Künstlerin lebt auf der Insel, wenn sie nicht gerade in Dublin am Institute of Technologie Kunst lehrt.
Bernadette ist auch der Grund, warum sich die großformatigen Bildermappen sowie die Plastiktüte mit den Farbtöpfen und den Pinseln auf die Fähre gewagt haben. Sie gehören einer Gruppe von Künstlern, die sich auf der Insel trifft um gemeinsam in der folgenden Woche ihre Abschlussprüfungen den „Bachelor of Fine Arts“ abzulegen. Der angelsächsische Ausdruck meint die klassischen bildenden Künste: Malerei, Architektur, Bildhauerei, Zeichnung und Grafik. Bernadette Burns ist Leiterin und Organisatorin der Gruppe. „Die Ruhe auf der Insel sorgt für Kreativität“, resümiert die Irin. Es ist die Kraft die aus der Ruhe geboren wird. Ohne Ablenkung durch äußere Einflüsse können sich hier Körper und Geist neu finden und definieren. Viele Künstler und Kunsthandwerker haben die Insel deshalb zu ihrem Refugium erkoren. Bekannt, weit über die Insel hinaus, sind die Kurse in Malerei, die in den Sommermonaten von Cora Collins und Majella O'Neill Collins angeboten werden. „Die machen das richtig gut. Viele, die einmal bei den beiden waren, kommen gerne wieder“, gerät Bernadette mit leuchtenden Augen ins Schwärmen.

Über dem Horseshoe Harbour

Über dem Horseshoe Harbour

Hoch auf den Klippen oberhalb des „Horseshoe Harbour“, einer kleinen hufeisenförmigen Bucht trotzt der Leuchtturm dem Wind und dem Wetter des Atlantiks. Heute darf er ausspannen und es sich in der Sonne gemütlich machen. Die Wanderung zu ihm hinauf geht über Weiden, durch unverschlossene Gatter vorbei an natürlichen und künstlich aufgeschichteten Wällen, von bunt blühenden Blumen geschmückt. Kein ausgetretener Pfad weist den Weg, mühsam ist er trotzdem nicht. Weit über die See, die Inseln und das Festland geht der Blick und verschwindet irgendwo jenseits der Kimm in der Unendlichkeit.

Weit über die See, die Inseln und das Festland

Weit über die See, die Inseln und das Festland

Unweit des Fähranlegers steht moos- und grasbewachsen die Ruine des Franziskanerklosters und nicht weit weg von ihr sind von Efeu überwuchert die Überreste der ehemaligen O`Driscoll – Burg zu finden. Auch wenn die Ruhe der Insel verlockend ist, kommen manche Besucher nur für einen oder zwei Tage, um an den einsamen Stränden zu schwimmen. Von Baltimore, Skibbereen oder Bantry ist die Anreise nicht weit und die Überfahrt mit der „AN C`OILEANACH GLIC“ was übersetzt „Insulaner“ bedeutet ist nur kurz.

Gesteuert von Martin Lawler fährt der Bus der Inselgemeinschaft auf die Pier. Ein weiteres Mal erreicht die Fähre den Landungssteg. So wie er die ankommenden Gäste unkompliziert aufpickt um sie über die Insel zu verteilen bringt er auch die Abreisenden samt Gepäck zur Fähre.
Die Plastiktüte mit den Pinseln und den Farbtöpfen ist diesmal noch nicht dabei. Sie werden dringend benötigt. Vor allem das Grün, das Blau und das Türkis.


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