Die Stille der Comeragh Mountains

Text und Fotos: Stephan Käufer

Vorsichtig prüfend setzen die beiden Männer immer einen Fuß vor den anderen. Bröckelt der Fels? Verbirgt sich unter der Grasscholle eine Spalte, oder könnte der Fuß durch die alles durchdringende Feuchtigkeit auf dem glitschigen Fels abrutschen? Rechts des Wasserfalles versuchen die Männer den Aufstieg. Nicht die Kaskaden bringen diese Feuchtigkeit, es ist ein dichtes, nebliges, dunstiges Irgendwas. „Mist“ nennen die Iren diese Wetterlage und meinen dabei nicht die deutsche Bedeutung des Wortes, sondern eine auf Dauer alles durchdringende Nässe, ohne dass es dabei regnet. In drei Katarakten überwindet der Fluss etwa 80 Höhenmeter. Zwei Wanderer sind die Einzigen, die sich heute in diese Einsamkeit geflüchtet haben. Der zweite Katarakt ist erreicht als der vordere stehen bleibt, und sich dem Folgenden zuwendet. Nach kurzer Beratschlagung kehren sie um, der Weitermarsch wäre hier und heute zu gefährlich, ihre Ausrüstung für diese Wetterlage nicht ausreichend. Aber es gibt einen anderen Weg Lough Coumshingaum doch noch zu sehen. Den wollen sie nun versuchen.

Drei Katarakte

Drei Katarakte

Lough Counshingaum ist ein eiszeitlicher Bergsee. Von drei Seiten unzugänglich, bewacht von an die dreihundert Meter hohen, steil abfallenden Felsen. Lediglich seine vierte Seite öffnet er. Der See liegt in den Comeragh Mountains im Südosten Irlands. Nach Waterford sind es etwa fünfundvierzig Autominuten. An die langen, vom warmen Golfstrom umspülten Sandstrände von Tramore benötigt man etwa eine Autostunde. Etwa genau so lange dauert die Autofahrt nach Dungarvan. Zwei Routen führen in die Stille. Spannend ist der Weg entlang des Mahon River und der Aufstieg rechts neben dem Wasserfall. Nicht weniger spannend und anstrengend ist der Weg entlang der Felsnase von Kilclooney. Er kommt von Osten und über ihn gelangt man direkt an den See. Beide Wege sollten ausschließlich mit Schuhwerk, welches die Knöchel fest umschließt, gegangen werden. Das Felsgestein ist brüchig. Löcher sind immer wieder durch überhängende Grasbüschel verdeckt.

Von drei Seiten bewacht

Von drei Seiten bewacht

„Es ist möglich im See zu schwimmen, aber man muss sehr tapfer sein. Der See ist sehr kalt. Selbst im Sommer erreicht er oft nur sechs bis sieben Grad Wassertemperatur“, erzählt Michael Desmond. Michael ist „Walking Guide“. Er führt Wanderer durch „sein“ Revier, die Bergwelt im Südosten Irlands, insbesondere und am liebsten durch die Comeragh und die Monavullagh Mountains, seine Heimat.

Kein ausgetretener Pfad

Kein ausgetretener Pfad

Immer wieder kreuzen Schafe den Weg der zwei Wanderer die nun versuchen über die zweite Route an den See zu gelangen. Mittlerweile überqueren sie ein gleichmäßig steil ansteigendes Felsterrain. An dessen oberem Ende laufen zwei Grate abfallend aufeinander zu, um schließlich einen schmalen Durchlass zu bilden. Diesen wollen sie durchqueren, nur durch ihn kann auf dieser Route das Ziel gewonnen werden. Es existiert kein ausgetretener Pfad. Immer wieder müssen die Zwei großen Felsbrocken, vielleicht von Urzeitriesen dorthin geschleudert, ausweichen. Wenn man hier von Baumzone sprechen kann, haben die beiden Männer diese bereits hinter sich. Strauchwerk, kleine Büsche und Gras bilden das Grün der Vegetation. Der Himmel hat eine graue Färbung. Dann und wann bricht sich die Sonne Bahn, beleuchtet eine spannende Landschaft, verleiht dem Wolkenmeer Kontur. Stetig gewinnen die Männer an Höhe. Schließlich ist der Durchlass zum See erreicht. Mehr als mannshoch sind die Felsen die umgangen werden. Mit einem Mal übernimmt eine wunderbare alles umfassende Stille die Regie. Kein Ton, kein noch so leises Raunen des Windes, so als gäbe es keine Außenwelt mehr. Fast gleichzeitig mit dem einsetzen dieser Ruhe liegt der See vor ihnen. Himmlisch. Magisch. Exotisch. Nebelschwaden wallen über die Abrisskante der fast dreihundert Meter steil aufragenden Felsenklippen. Langsam beginnen die Nebel ihren Abstieg. Neugierig erreichen sie den unberührt daliegenden schwarzen Spiegel des Sees. Kühle begleitet sie. Wie leckende Zungen überqueren die Schwaden den See. „Mist“ beginnt erneut auf die Wanderer einzudringen, will ihre Kleidung durchdringen. Ob die Nebel dem Geheimniss der Stille zu Hilfe eilen?

Dungarvan

Dungarvan

„Wenn man an den Wasserfällen vorbei den Berg erklommen hat, muss man sich rechts Richtung Osten halten. Nach einiger Zeit sieht man den See etwa dreihundert Meter unterhalb liegen“, fährt Michael mit seinem Bericht fort. Etwa eineinhalb Stunden geht man von unterhalb der Wasserfälle bis zu den Klippen. An sonnigen, trockenen Tagen ist der Aufstieg entlang des Wasserfalles auch für Familien geeignet. Kindern sollte man aber erklären, wie man sich in solchem, nicht einfachem Gelände bewegt. Die Ausrüstung sollte der Natur angepasst sein, Trinkwasser und einen Imbiss beinhalten. Über den zweiten Aufstieg benötigt man etwa neunzig Minuten, um zum See zu gelangen. Es existiert kein ausgetretener Pfad, immer der Nase nach auf den Durchlass zu, und auch dieser Weg ist für Familien geeignet.

Refugium für Schafe

Refugium für Schafe

Einsam stehen zwei Schafe oberhalb des Sees auf dem schmalen Grad. Wie Feldherren blicken sie auf die Männer herab. Ob sie die Nebel kommandieren, den See beschützen, die Stille bewahren wollen? Beanspruchen die Tiere dieses letzte Refugium für sich allein? Langsam beschleicht Kälte die beiden Wanderer, klettert in ihre Knochen. Nach kurzer Rast beschließen sie den Rückmarsch. Die Ruhe des Eiszeitsees tragen sie in sich geborgen zurück. Wenige Worte begleiten den Abstieg. Lange Zeit wird die Ruhe des Sees die Männer vor der lauten Hektik des Tages beschützen. Ihnen hat der See sein Geheimniss offenbart.


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