Saisonverlängerung in den mallorquinischen Alpen

Text und Fotos: Stephan Käufer
Blau und Grautöne am Himmel

Blau und Grautöne am Himmel

Die See ist schaumgekrönt. Der heftige, noch warme Südwind treibt die Wogen vor sich her. Schließlich branden beinahe mannshohe Brecher gegen die Molen, trommeln gegen die auf Rede liegenden Kreuzfahrschiffe um schließlich gegen den unterhalb der Avinguda d'Adolfo Suárez liegenden Sandstrand zu stürmen. Ablaufende Wellen werden von den Nachfolgenden erneut mitgerissen, aufeinandergetürmt und wieder und wieder gegen Strand und Steine geschleudert. Bis hinauf auf Promenade und Straße, unterhalb der alles beherrschenden Bastionen der Kathedrale von Palma, La Seu, spritzt die Gischt. Allein der -noch- im Osten stehenden Sonne, gelingt es der tosenden See und dem weiten, in allen Blau- und Grautönen changierenden, Himmel die unbeschreibliche Dramatik dieses maritimen Naturschauspiels zu entlocken.

Kathedrale von Palma, La Seu

Kathedrale von Palma, La Seu

Wenig Verkehr herrscht, jetzt wo die Touristenströme fehlen, auf einer der Hauptmagistralen der mallorquinischen Hauptstadt. Von wenigen Autos und drei, vier Scootern begleitet, findet so ein einsames Motorrad Muße über die sechsspurige Straße zu flanieren. Lustvoll spröttelt der Zweitzylindermotor vor sich her und der Sonne entgegen. Entspannt, das Visier geöffnet, genießt der Fahrer jetzt -Anfang November- die angenehmen Temperaturen, das wundervolle Morgenlicht, die verführerische Melodie der rauschenden Brandung. Vor allem aber, das Fehlen all jener, die sonst autoradiodudelnd, schwitzend und hupenstrapazierend im Stopp and Go des Ampeltaktes die Straße bevölkern.

Cap Formentor

Cap Formentor

Wenn in den Supermarktregalen die Weihnachtsmänner eingeräumt sind und die Saisonkennzeichen zwischen Oberstdorf und Flensburg vom Ende des perfekten Motorradsommers künden, ist es allerhöchste Eisenbahn Mallorca als Motorradinsel zu entdecken. Von Port d´Andratx im Westen bis Cap Formentor im Nordosten erstreckt sich mit etwa 130 Kilometern Ausdehnung das Tramuntana Gebirge, die mallorquinischen Alpen. Serpentinen, Haarnadelkurven, schnelle S-Kombinationen, Kurvenspaß in Reinform. Anders, nicht weniger spannend, die Ebenen im Südosten zwischen Colonia Saint Jordi und Alcudia. Irgendwie erinnern sie an die welligen, grünen Hügel Südenglands, natürlich durch eine andere Vegetation geprägt. Auch sie laden zum Träumen, zum entspannten Gleiten, zum Cruisen und Kurvenräubern ein. Nicht zuletzt macht auch die tolle Infrastruktur, der überwiegend gute Straßenzustand, die günstigen Flüge, und die anspruchsvolle, alle Sternekategorien bedienende Hotellerie und das Gastgewerbe Mallorca zur idealen Motorradinsel.

Alcudia

Alcudia

Rast! Motorrad aufgebockt. Helm ab, Jacke aus - entspannen. Für zehn Minuten bloß, vielleicht eine halbe Stunde. Augen blinzeln gegen die Sonne. Zurückziehen in die Ecke, da bei der Windmühle. Zurücklehnen gegen die von der Sonne aufgeladenen, warmen Steine, Ruhe - tief und gleichmäßig durchatmen, salzige, würzige Luft. Das Rad knarrt. Im ewig gleichen Takt huschen die dunklen Schatten des Mühlrades über die gelblich – braungrauen, regelmäßig geschichteten Steine der Natursteinmauer. Gedanken wandern, kommen ebenfalls zur Ruhe. „Auf der Insel gibt es zwei Arten Windmühlen, quadratische und runde“, erzählt Daniel Heerdegen. „Die quadratischen sind Getreidemühlen, die runden wurden zur Wasserförderung errichtet. Ihre Windräder drehen sich zwar, sind aber nicht mehr in „Funktion“. Elektromotoren übernehmen heute ihre Arbeit“, erklärt Daniel weiter. Seit sechzehn Jahren lebt der 61- jährige auf der Insel. „Mich begeistert das Klima und die angenehme, dem Meer zugewandte Art, hier zu leben“, sinniert der Betreiber eines kleinen Motorradverleih weiter. Gerne begleitet er Kunden auf Touren, berichtet kurzweilig über die Insel und interessiert sich für ihre Historie.

Daniels Mitarbeiter

Daniels Mitarbeiter

Die Windmühlen sind mallorquinisches Wahrzeichen. Eine staatlich unterstützte Schule beschäftigt sich mit Geschichte, Erhalt und Funktionsweise der Mühlen. Private Initiativen bemühen sich eine „Mühlenroute“ zu etablieren. Viele dieser historischen Bauten stehen rund um Palma, bereits beim Landeanflug sind sie zu erkennen. Aber auch in der Ebene bei Campos und im Nordosten bei Alcudia stehen sehr schön restaurierte Mühlen. Manche beherbergen Restaurants, andere schmücken romantische Fincas. Ihre Geschichte geht bis in die Zeit der Mauren zurück, lange bevor die Insel christlich erobert wurde. Die meisten Mühlen existierten im siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert auf der Insel. Älteste Nachweise für die Existenz der Windmühlen datieren aus dem vierzehnten Jahrhundert.

Mallorquinische Windmühlen

Mallorquinische Windmühlen

Lustvolles Flanieren und gemächliches Gespröttel hat sich unser Zweizylinder mittlerweile abgewöhnt. Mit breiter Brust hat sich ein Vierzylinder dazugesellt. Fröhlich tänzeln beide durch die wellige Ebene, irgendwo zwischen Campos und Alcudia. Die Fahrer haben ihre Visiere geschlossen. Eins mit sich, Maschine und Straße. Konzentration. Zen. Runter schalten, Körper und Maschine aufrichten, erneut das Motorrad in die Kurve drücken, mit dem Erreichen des Scheitelpunktes die Gasschieber aufreißen. Reiz der Beschleunigung. Nur um dieses Spiel immer und immer wieder zu spielen.

Alcudia, mit seinen mittelalterlichen Stadttoren und dem historischen Altstadtkern liegt hinter den beiden. In Port de Pollenca werden die Beiden zum Flanieren gezwungen, die Visiere der Motorradfahrer öffnen sich, in gemächlichem Tempo geht es über die Promenade. Ein paar Wellenreiter, nutzen die Bucht -das Wasser-, zum Spiel mit den Elementen. Hinter Pollenca wird es wieder spannend. Es geht aufwärts in die nordöstlichen Ausläufer der Tramuntana. Visiere geschlossen, erste Kehren, schnellere Kurvenkombinationen, erneute Konzentration. Dann und wann ein Radfahrer, ein PKW, der den Lauf hemmt, Motorräder kommen entgegen. Ein paar Adrenalinschübe weiter, wenig mehr Gewichtsverlagerungen später und die Motorräder haben den Pinienwald hinter sich. Nun noch die Bergkuppe, schließlich öffnet sich der Blick auf das Meer. Weit hinten erkennen die Fahrer den Leuchtturm von Formentor.

zum Flanieren gezwungen

zum Flanieren gezwungen

„Die schönste Straße der Insel ist die Ma 10 von Andratx über Banyalbufer bis Soller“, erklärt Xisco Jouer. Der 45-jährige Mallorquiner lebt in Andratx und ist begeisterter Motorradfahrer. „Nimm dir für die Strecke einen Tag, den brauchst du“, erklärt der Honda Fan. Die im Rundkurs über Palma sehr schön erfahrbare Route ist etwa 130 Kilometer lang und gewährt immer wieder einen fantastischen Blick auf die Steilküste. Sie besteht beinahe ausschließlich aus Kurven und Serpentinen. Kurz vor Banyalbufar steht hoch über dem Meer, der Torre del Verger. Als Wehrturm 1579 gebaut, wurde er 1995 von der Regierung zum Kulturgut erklärt und restauriert. Von seiner Plattform aus sieht man weit raus auf die See und die Berge. Auch die Kartause von Valdemossa, in der George Sand und Frederic Chopin wenige Monate im Winter 1838 verbrachten ist über die Route gut zu erreichen, und lädt zum Besuch. Schließlich kommt Xisco mit seinem Geheimtipp um die Ecke. „Wenn du von Soller aus die Ma 10 Richtung Kloster Lluc fährst, erreichst du hinter dem zweiten Bassin, da wo das kleine Kiosk ist, eine kleine Abzweigung. Hier geht es runter nach Sa Colobra. Tolle Strecke eine 360 Grad Kurve, der Krawattenknoten. Unten ist eine tolle Bucht zum Baden.“

Kurven und Serpentinen

Kurven und Serpentinen

Nicht zu Unrecht ist Mallorca eines der beliebtesten Urlaubsziele, und nicht nur der Deutschen. Gerade die Tramuntana ist im Sommer bei vielen Leihwagen und Bustouristen beliebt. Soll dann, wenn diese sich ängstlich über die schmalen Straßen bewegen, Motorradfahren Spaß machen? Nein. Der Streckenabschnitt zwischen Polenta und Cap Formentor ist einer der am häufigsten frequentierten, -weil wunderschön-. Gerade ihn kann man nur in der Zeit zwischen Mitte Oktober bis etwa Mitte März, dann wenn die Insel mit der Kraft des stetigen Südwindes und der schaumgekrönten Wellen unter einem warmen, blauen Himmel tief durchatmet so richtig genießen. In der übrigen Zeit stauen sich hier auf Cap Formentor Fahrräder und Autos, dudeln Radios und Hupen.


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Palma, Mallorca, Spanien

Kalender von Stephan Käufer
Motorradkalender

Momentaufnahmen und Impressionen. Meine Lieblingsmotive aus den Themenbereichen Reise, Motorrad und Oldtimer. Zusammengefasst und präsentiert als hochwertiger Wandkalender.

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