Fachwerk, Wein und Qualität

Text und Fotos: Stephan Käufer
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Früher stand er mit weit ausladender Krone hoch oben in den Vogesen. Und nun? Vor weit über vierhundert Jahren haben ihn starke Hände erst schön schlank und kantig behauen und dann genau an diese Ecke ins Fachwerk des Hauses gesetzt. Mit seinem Zapfen haben sie ihn in das Schwellholz, die Schwelle geschoben. Anschließend wurden Brustriegel und Schwertung eingefügt. Nun konnte er das Rahmenholz tragen, das die Männer ihm oben auf den zweiten Zapfen geschoben haben. Eckpfosten nannten die Zimmerleute ihn. Dann kamen andere. Maurer haben sie Sie genannt. Die haben die Gefache zwischen den Balken ausgemauert. Weit in die Straße kann der kleine Pfosten seit dem schauen, das gefällt ihm. Er beobachtet das Wetter, die Natur, aber am liebsten das Treiben der Menschen. Tagein, tagaus, daran hat er Spass. Jene, die hier leben und die, die meistens bei schönem Wetter nach Colmar kommen, die Touristen mit ihren Fotoapparaten. Viele Urlauber haben auch ihn schon fotografiert. Dann freut er sich jedesmal diebisch.

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Gegenüber, die Patisserie die würde er gerne mal besuchen. Durch das große Glasfenster sieht er immer tolle Törtchen, Pralinen oder Schokolade. Das Wasser läuft ihm jedesmal im Mund zusammen. Doch er kann hier ja nicht weg. Die oberen Stockwerke würden glatt zusammenbrechen, wenn er weg wäre! Gerne ginge er auch einmal in das Stockwerk unter ihm. In die Weinhandlung. Ja der Wein, auch der würde ihm sicher sehr gut schmecken.

Im Oberrheintal auf französicher Seite etwa in der Mitte zwischen Basel und Strassburg am Fuße der Vogesen liegt Colmar, wunderschönes, puppenstubenhaftes Kleinod aus Fachwerk und verspielt vermauertem Stein. Wechselhaft wie die Farben seiner Fassaden ist seine Geschichte. Erst freie Reichsstadt, dann mit dem Sonnenkönig französich um schließlich mit der Reichsgründung wieder dem Deutschen Reich zugeordnet zu werden. Nach dem Ersten Weltkrieg –bis heute- französich oder besser vielleicht europäisch? Die Wirren der Kriege, das Wechselspiel der Geschichte, haben Colmar verschont. Romantische Fachwerkhäuser, verspielte Erker und kunstvolles Mauerwerk bilden seine von Kanälen und kleinen Flussläufen durchzogene Altstadt. Allein wegen dieser mittelalterlichen Architektur ist Colmar sehenswert. Und wer genau hinsieht, der findet sicher auch den kleinen durstigen Eckpfosten, der so gerne fotografiert werden will, in irgendeinem Fachwerk.

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„Wein hat Colmar reich gemacht“, erzählt Christine Venner. Christine lebt in Colmar. „Bereits im Mittelalter wurde der Wein über den Rhein bis nach England und Skandinavien verschifft“, berichtet sie stolz. Vor allem Weisweine - Gewürztraminer, Riesling, Grauburgunder, Muscat – werden in den nach Osten zur Rheinebene hin abfallenden Hängen der Vogesen angebaut. Geschützt durch das Gütesiegel AOC (Appellation d´Origine Contrôlée) garantiert dieses Siegel, daß der Wein auf traditionelle Weise hergestellt wird, aus der Region stammt und auch hier verarbeitet wird. Ferner, dass die Eigenschaften einen gleichbleibenden Standard –Qualität und Güte- besitzen und dass diese Standards überwacht werden. Kenner lieben die fruchtigen, frischen Aromen des Elsässer Weines.

„Je älter die Reben, desto geringer die Ausbeute, aber die Qualität wird besser, weil die Wurzeln tiefer in die Erde eindringen“, erklärt Apollina Meyer während einer Weinprobe. Der Familie Meyer gehört das Weingut Domaine du Bollenberg, etwa eine halbe Autostunde südlich von Colmar in den sanft welligen Hügeln bei Rouffach gelegen. „Unsere ältesten Weinstöcke stammen aus dem Jahr 1945“, plaudert sie weiter.Und ernster werdend: „Wir produzieren ausschließlich biologisch“. Qualität ist auf der Domaine oberstes Gebot. Die Weinstöcke werden nicht „gespritzt“ – also mit chemischen Mitteln behandelt. Hierzu passt auch, daß neben dem Weinanbau, der Obstanbau eine wichtige Erwerbsquelle ist. Nicht nur Kirschen, Birnen, Mirabellen und Zwetschgen werden hier zu leckeren Marmeladen und zu edlen Obstbränden verarbeitet. Nur natürlich, das auf dem Weingut aus den Resten der Trauben auch „Marc“, in anderen Regionen als Trester oder Grappa bezeichnet, gebrannt wird.

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Seit vorrömischer Zeit wird im Elsass Wein angebaut. Im frühen Mittelalter widmeten sich in den Klöstern die Mönche den Reben, kultivierten ihren Anbau und führten im Elsass die Weinherstellung zu erster Blüte. Im ausgehenden Mittelalter schließlich war die Weinanbaufläche etwa doppelt so groß wie heute. Zu jener Zeit entstanden die ersten Weinbruderschaften, wie die Stephansbruderschaft. Deren Aufgabe bestand darin die Qualität Elsässicher Weine sicher zu stellen. Regelmäßig traf man sich am 26.12. dem Tag des heiligen Stephan, gemäß katholischer Lehre. Auf französich heist Stephan, Etienne, oder im Falle des Heiligen, Saint Etienne. Sicher wurde bei diesen Treffen gut gegessen und getrunken. Andererseits widmete man sich der gestellten Aufgabe. Die Satzung der Bruderschaft Saint Etienne aus Ammerschwihr datiert auf das Jahr 1561. Man kann sie auch als eines der ersten landwirtschaftlichen Gütesiegel, ähnlich dem AOC bezeichnen.

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Zu dieser Zeit, den Jahren um 1561, entstanden viele der Fachwerkhäuser in den romantischen Elsässer Ortschaften und kleinen Städten. Auch nach über vierhundert Jahren bieten sie Schutz und Geborgenheit. Die Region erlebte wirtschaftlichen Aufschwung – Reichtum entstand. Auch dem Wein und seinem Handel ist dieser Reichtum zu verdanken. Doch auch ersten Regularien zur Qualitäts- und Gütesicherung. Das Reinheitsgebot zur Bierherstellung feiert in diesem Jahr 500 Jähriges bestehen, auch dies eine Regularie zur Qualitätssicherung. Wünschenswert, dass unser kleiner Fachwerkpfosten, der so gerne die Menschen und das Wetter beobachtet, auch den nach uns Lebenden berichten kann, dass Qualität und Reinheit von Lebensmitteln bei uns oberstes Gebot war. Auch oder trotz einer immer globalisierteren Welt.


48.0778259, 7.3578981
Colmar, Frankreich

Okzitanien - Katharerland
Okzitanien - Katharerland

Reise in den Südwesten Frankreichs

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